Skandal! Öffentliche Empörung und die (digitalen) Medien

medien impuls am 14. November 2018

Normen gelten als gesellschaftliche Einigung über ein Verhalten oder einen Zustand, den alle möglichst einhalten sollten. Wie aber schafft man es in einer pluralistischen Gesellschaft die Menschen zum Einhalten von Normen zu bewegen? Bei klaren Gesetzesübertretungen drohen immerhin Strafen oder sonstige harte Konsequenzen – vorausgesetzt, das Fehlverhalten fliegt auf. Steuerhinterziehung zum Beispiel galt lange Zeit als Kavaliersdelikt und schien, wie zahlreiche CDs von Steuerbetrügern belegen, eine Art Volkssport gewesen zu sein. Dann aber gab es seit 2008 eine Reihe von Prominenten, von Klaus Zumwinkel über Alice Schwarzer bis Uli Hoeneß, die aufflogen - und das perfekt medial inszeniert.

Derartige Skandale, über die die Medien informieren, prangern Normverletzungen und Ungerechtigkeiten an. Sie tun dies auch, indem sie Empörung auslösen oder gar provozieren.

Veränderte mediale Kommunikationswege haben dazu geführt, dass nicht mehr nur die professionellen Medien als Seismograph für Normverletzungen fungieren. Jeder Einzelne kann dies nun öffentlich tun. Und nicht mehr nur prominente Persönlichkeiten sind im Fadenkreuz öffentlicher Empörung. Das Anprangern, Diffamieren und Diskreditieren hat im digitalen Zeitalter auch gegen gänzlich Unbekannte mächtig an Fahrt aufgenommen. In rasender Geschwindigkeit verbreiten sich 'Beweise eines Fehlverhaltens' via eingestellter Fotos, Videos sowie Sprachbeiträgen und kreieren Wut und Empörungsgemeinschaften, die ohne jede Verhältnismäßigkeit individuelle Schicksale bestimmen können. Wolfgang Schmidbauer entwirft hierfür den Begriff der Helikoptermoral: Anklage ist Schuldspruch, die klassische Unschuldsvermutung fällt unter den Tisch.

Denn Empörung orientiert sich nicht an Fakten allein. Es geht oft auch um Gefühle. Für den gesellschaftlichen normativen Wandel ist weniger der Skandal ausschlaggebend, sondern der Grad der Empörung. Welche Ereignisse lösen also öffentliche Empörung aus? Welche nicht? Wem nutzt, wem schadet der Eklat? Und sind die neuen medialen Empörungskanäle der Verhandlung gesellschaftlicher Normen und Werte dienlich? medien impuls ging diesem Phänomen auf den Grund.

Begrüßung

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Nach seinem Studium der Germanistik und Theologie (Lehramt) baute er in Hannover die Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen auf und beschäftigte sich neben Suchtprävention und Jugendkriminalität mit der Wirkung von Medien. Ab 1985 war er als Ländervertreter bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) tätig, bis er 1994 die Geschäftsführung der FSF übernahm. Er ist Chefredakteur der Fachzeitschrift tv diskurs, Honorarprofessor für das Fach Medienethik/ Medienpädagogik an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Potsdam-Babelsberg und Vertretungsprofessur im Fachbereich Medien- und Kommunikations-wissenschaften an der der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Von der Moral der Empörung zum Moralismus des Skandals
Ein begrifflicher Leitfaden

Dr. Arnd Pollmann ist, nach Gast- und Vertretungsprofessuren in Zürich, Hamburg und Berlin, seit 2018 Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Er lehrt und forscht im Bereich der Praktischen Philosophie, v.a. auf den Gebieten der Ethik und Moralphilosophie, der Sozialphilosophie und der Politischen Philosophie der Menschenrechte. Auf all diesen Themengebieten spielt der Zusammenhang von empörenden Unrechtserfahrungen und individuellen sowie kollektiven Lernprozessen eine entscheidende Rolle. Zu seinen wichtigsten Buchveröffentlichungen zählen u.a.: Integrität. Aufnahme einer sozialphilosophischen Personalie (2. Aufl. 2018); Unmoral. Ein philosophisches Handbuch. Von Ausbeutung bis Zwang (2010).

Entstehung, Struktur und Wirkung von Skandalen in den (neuen) Medien

Dr. André Haller forscht und lehrt am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Bamberg.  Er absolvierte ein Bachelorstudium in Medien und Kommunikation an der Universität Passau, bevor er mit dem Master of Arts in Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg abschloss. Seine Schwerpunkte sind u.a. strategische und politische Kommunikation (insbesondere Wahlkampfkommunikation) und die kommunikationswissenschaftliche Skandalforschung. 2013 wurde er mit einer Arbeit zur bewussten Skandalerzeugung in politischen Kampagnen promoviert. 2016 und 2018 richtete er die International Conference in Scandalogy aus, bei der Skandalforscher aus zahlreichen Ländern ihre Forschungsergebnisse vorstellten.

Talk mit Dr. André Haller, Prof. Dr. Arnd Pollmann, Prof. Dr. Bernhard Pörksen und Dr. Wolfgang Schmidbauer

Dr. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er studierte Germanistik, Journalistik und Biologie. Zu den zentralen Themen seiner Forschungstätigkeit gehören u.a. die Dynamik öffentlicher Empörung, Medienskandale und Fragen der Medienethik, Inszenierungsstile in Politik und Medien, Journalismus und Prominenz. Einem breiteren Publikum wurde er durch seine Arbeiten zur Skandalforschung (u.a. Der entfesselte Skandal, gemeinsam mit Hanne Detel) sowie seine Bücher mit dem Kybernetiker Heinz von Foerster (Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners) und dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun (Kommunikation als Lebenskunst) bekannt. 2008 wurde er zum »Professor des Jahres« gewählt und für seine Lehrtätigkeit ausgezeichnet.

Dr. phil. Dipl. Psych. Wolfgang Schmidbauer ist Autor, Lehranalytiker, Psychotherapeut und Supervisor. Er studierte Psychologie, Pädagogik, Kulturanthropologie und Psychopathologie. Nach einer Tätigkeit als freier Schriftsteller in Deutschland und Italien absolvierte er eine Ausbildung zum Psychoanalytiker und beteiligte sich an der Gründung eines Instituts für analytische Gruppendynamik und eines psychoanalytischen Ausbildungsinstituts in München. Es folgten Lehraufträge und eine Gastprofessur für Psychoanalyse. Schmidbauer veröffentlichte ca. 40 Bücher, darunter mehrere Bestseller. Zum Tagungsthema veröffentlichte er in der kursbuch.edition das Buch Helikoptermoral, das sich mit Empörung, Entrüstung und Zorn im öffentlichen Raum beschäftigt.

Tagungsmoderation

Christine Watty arbeitet als Redaktionsleiterin, Redakteurin und Moderatorin bei Deutschlandradio Kultur in Berlin. In Hamburg und Spanien studierte sie Jura. Sie lernte Radio beim SWR und war im Anschluss viele Jahre selbständige Journalistin. Als Autorin, Reporterin und Moderatorin war sie u.a. tätig für das Deutschlandradio, den WDR und den MDR. Sie gibt Sprechunterricht, schreibt Texte und moderiert bis heute kleine und große Veranstaltungen. Ihre Themenschwerpunkte sind Kultur, Politik und digitale Medien.

 

Die Veranstaltungsreihe medien impuls findet in Kooperation mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) statt.

Hinweis

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie sich mit Ihrer Teilnahme an der Tagung einverstanden erklären, im Rahmen der Berichterstattung über die Veranstaltung auf Fotos und Videomaterial zu erscheinen.

Alle Fotos © sh/fsf | per Klick vergrößerbar.