Tatort Sprache. Verbale Grenzüberschreitungen in den Medien und ihre Wirkung

tv impuls am 16. Mai 2008

Üble Flüche, vulgäre Kraftausdrücke, Beleidigungen oder zynische Bemerkungen über Menschen, die ohnehin schon benachteiligt sind: Wie im realen Leben ist auch in den audiovisuellen Medien die passende Wortwahl sehr wichtig bei der Kommunikation. Vom Actionheld, der den Bösen endlich vernichtet und dies mit einem erniedrigenden Spruch begleitet, über Beschimpfungen und sexuelle Entgleisungen in Talk- oder Gerichtsshows bis zu den Kommentierungen der Kandidaten durch Dieter Bohlen in DSDS beeinflusst die Sprache die Wahrnehmung und die Emotionen.

Bereits bei Kleinkindern ist zu beobachten, dass sie sich Schimpfwörter oder  versehentlich von Erwachsenen verwendete Flüche schnell merken und zum Entsetzen der Eltern in unangemessenen Situationen zum Besten geben. Was macht eine Kombination von Lauten, aus denen diese Wörter bestehen, gleichzeitig so schmutzig wie interessant? Sind die Laute der Grund oder ist es die erwartete Reaktion, wenn man das Wort verwendet?

Wenn es im Jugendschutz um Medienwirkungen in Zusammenhang mit Alterseinstufungen oder Sendezeiten geht, wird auch auf die Sprache geachtet. In den angloamerikanischen Staaten führt die so genannte Bad Language zu einer strengen Einstufung. Vulgäre, sexualisierte oder erniedrigende Sprache, so das Argument, wirke sich direkt auf das Denken und die Einschätzung aus und müsse deshalb von Kindern ferngehalten werden. Ob das viel nützt, kann bezweifelt werden: Im amerikanischen und englischen Alltag sind die aus den Medien verbannten "F"-Wörter fast öfter zu hören als entsprechende Ausdrücke in Deutschland, wo man den Sprachgebrauch bisher noch etwas weniger streng bewertet.

Welche Rolle sollte also die Sprache unter Jugendschutzgesichtspunkten spielen? Fördert sexualisiertes und vulgäres Sprechen beziehungslosen Geschlechtsverkehr oder die Reduzierung sprachlicher und gedanklicher Differenzierung beim (jungen) Betrachter? Warum fluchen wir so häufig und warum ist das trotzdem tabuisiert? Zu diesen und weiteren Fragen wurden am 16. Mai 2008 praktische Beispiele vorgestellt und der aktuelle Kenntnisstand der Wissenschaft referiert.

Flüche, Beschimpfungen und Sexualisierung. Sprachliche Tabuverletzung als Thema des Jugendschutzes

Claudia Mikat studierte Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie war freiberuflich als Medienpädagogin in der Kinder- und Jugendarbeit und als Dozentin in der Erwachsenenbildung tätig. Außerdem übernahm sie verschiedene Lehraufträge für Medienpädagogik und Jugendschutz. Von 1994 bis 2001 war sie Leiterin der FSF-Geschäftsstelle. Seit 2001 ist sie hauptamtliche Prüferin und Vorsitzende der Prüfausschüsse bei der FSF.

Henne oder Ei? Die Beziehung von Sprache, Denken und Emotionen

Dr. Ulrike M. Lüdtke ist Privatdozentin an der Universität Bremen mit der venia legendi für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Beeinträchtigung der Sprache und der Kommunikation. Sie promovierte 1997 an der Universität zu Köln und habilitierte sich 2005 mit der Schrift Sprache und Emotion: Vom Logos zum Dialog. Von 2004 bis 2008 vertrat sie den Lehrstuhl für Sprachbehindertenpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Bedeutsamkeit relationaler Emotionen für die frühe Mutter-Kind-Kommunikation, die neurowissenschaftlichen Grundlagen sprachlichen Lernens sowie Sprachdiagnostik und Sprachförderung im Bereich der frühkindlichen Bildung. 

Jugendsprache und Mediensprache: verbale Grenz- und Generationsüberschreitungen?

Prof. Dr. Eva Neuland hat seit 1995 den Lehrstuhl Germanistik: Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Bergischen Universität Wuppertal inne. Zu ihren Forschungsgebieten gehören die Soziolinguistik, Pragmalinguistik, Gesprächsforschung, Stilistik, Sprachkritik, Deutschdidaktik/Sprachdidaktik/Deutsch als Fremdsprache und interkulturelle Kommunikation. Nach dem Studium der Germanistik, Sozialwissenschaft und Psychologie promovierte sie 1973 in germanistischer Sprachwissenschaft. 1980 habilitierte sie sich an der philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema Deutsche Sprache und ihre Didaktik. 1986 wurde sie zur außerplanmäßigen Professorin ernannt. Im Rahmen ihres Forschungsschwerpunktes "Jugendsprache" leitete sie unter anderem das DFG-Forschungsprojekt Jugendsprache und Standardsprache. Untersuchungen zum Sprachgebrauch und Sprachbewusstsein von Jugendlichen. Zu ihren Veröffentlichungen gehören Jugendsprache – Jugendliteratur – Jugendkultur (2003), Jugendsprachen: Spiegel der Zeit (2003), Variation im heutigen Deutsch (2006) und Jugendsprache: mehrsprachig – kontrastiv – interkulturell (2007).

Weiterer Vortrag:

Fluchen als Segen? Die Bedeutung des Fluchens für Mensch und Gesellschaft 

Prof. em. Dr. Roland Ris studierte nach Absolvierung des Gymnasiums Biel an den Universitäten Bern, FU Berlin und Marburg Germanistik, Allgemeine und Indogermanische Sprachwissenschaft, Latein und Romanistik. Nach der Promotion 1966 war er als (Ober-)Assistent an der Universität Bern und Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg i.Ue. 1972 erfolgte seine Wahl zum Ordinarius für Germanistische Linguistik und Dialektologie an der Universität Bern. Als Gastprofessor für Germanische Philologie, Allgemeine Sprachwissenschaft und für Neuere deutsche Literatur war er an den Universitäten Basel, Neuchâtel, Freiburg, Lausanne und Genf tätig. Forschungsschwerpunkte waren im Bereich der Linguistik Sprachgeschichte und schweizerdeutsche Dialektologie, im Bereich der Literaturwissenschaft deutschschweizerische Literatur (auch in Mundart), das Werk Rainer Maria Rilkes und mystische Literatur aus den verschiedensten Kulturen. Roland Ris war ab 1976 ordentlicher Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH Zürich. Seit September 2004 ist er im Ruhestand.

Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) statt.