Von allen Filtern befreit

Die Doku-Serie „Social Studies“

Lena Wandner
SOCIAL STUDIES (© Lauren Greenfield)
Social Studies
USA 2024Dokumentation
Anbieter
Disney+
Zu sehen
ab 19.02.2025

„Social Media zerstört unser Leben and we still love it“ – als ich diesen Podcasttitel Ende letzten Jahres lese, muss ich schmunzeln und fühle mich gleichzeitig irgendwie ertappt. „Wie wahr“, denke ich und starte die kontrovers klingende Folge der Autorin und Journalistin Valentina Vapaux. Von ihr habe ich schon viel gelesen.

Für mich ist Valentina Vapaux die Stimme einer Generation, von der immer wieder gesagt wird, sie sei stark und selbstbewusst – gleichzeitig aber auch faul, kaputt und ohne Orientierung. Die Rede ist von der Generation Z, „Gen Z“ oder auch „Zoomer“ genannt. Darunter fallen jene Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden, die Abgrenzungen sind nicht immer ganz trennscharf.

Kaum einer anderen Generation werden so viele Möglichkeiten zugesprochen. Doch wo Möglichkeiten sind, da liegen auch Herausforderungen. Gen Z ist jene Generation, die mit sozialen Medien aufgewachsen ist, wobei hier vor allem die Rede ist von Instagram, Snapchat und TikTok. Mittlerweile gibt es diverse Studien, die das Aufwachsen in einer digitalisierten Welt untersucht haben. Aber lassen wir die Generation doch mal selbst zu Wort kommen. Wie sieht so ein Aufwachsen im Detail aus?

Einen ziemlich ungefilterten und ehrlichen Einblick liefert die Serie Social Studies, die im Februar 2024 auf Disney+ gestartet ist. Über ein Jahr lang, noch geprägt durch die Nachwehen der Corona-Pandemie, werden mehrere Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren an verschiedenen Highschools in Los Angeles mit der Kamera begleitet. Es geht um all die Themen des Erwachsenwerdens: Schulabschluss, College-Bewerbungen, Freundschaften, erste Beziehungen und Stress mit den Eltern. Es geht vor allem aber auch um die alltäglichen Begleiter: Social Media. Offen sprechen die Jugendlichen über ihren Social-Media-Konsum und ihre Erfahrungen auf den verschiedenen Plattformen. Hierbei zeigen sie auch ihre eigenen Postings und reflektieren diese teils gemeinsam in einer Gruppentherapie.
 

Trailer Social Studies (Institute, 09.09.2024)


Die Ambivalenz von Social Media

Recht schnell wird mir als Zuschauerin klar: Die begleiteten Jugendlichen haben ein überaus ambivalentes Verhältnis zu TikTok und Co. Der Wunsch, immer online zu sein, nichts zu verpassen und sich von der besten Seite zu zeigen, steht dem Bedürfnis nach Digital Detox, also der Abgrenzung vom Digitalen, gegenüber. Wie passt das zusammen? Es seien die ständigen Vergleiche mit anderen. Das Gefühl, nicht genug zu sein, nicht gut genug zu sein, sagt Cooper, 18 Jahre, in einer der Gruppentherapiesitzungen. Sie selbst habe immer wieder mit einem gestörten Körperbild zu kämpfen, getriggert durch die zahlreichen Filteranwendungen und vermeintlich makellosen Frauenkörper, die sie tagtäglich in ihrer Timeline sehe.

Doch der Wunsch, mitzuhalten und perfekt zu sein, ist nicht nur auf Äußerlichkeiten bezogen. Alle gefilmten Jugendlichen sprechen auch über den massiven Druck, auf ihr Wunschcollege zu kommen, nachdem sie immer wieder mit Videos und Bildern konfrontiert werden, die das Collegeleben romantisieren und idealisieren. Dazu kommen all die Aufnahmen euphorischer Jugendlichen, die sich in jenem Freudenmoment filmen, in dem sie an ihrem Traumcollege angenommen werden. Die Realität, das zeigt die Serie, ist jedoch anders. Aber College-Absagen und Wartelistenplätze klicken sich nicht gut. Sie sorgen nicht für jene Aufmerksamkeit, die man sich von anderen, zugegeben fremden Menschen wünscht.
 

Social Media = antisocial?

In den zahlreichen Interviewszenen wird deutlich: Leichtigkeit und Schwere sind in den sozialen Netzwerken häufig nicht weit voneinander entfernt. „Social Media is a lifeline, but also a loaded gun“, sagt Jonathan, 17 Jahre in einer Therapiesitzung, und alle Jugendlichen nicken zustimmend.

Was uns die Serie Social Studies zeigt, ist nicht überraschend, dennoch stimmt es mich nachdenklich. Ich selbst schreibe sozialen Medien enorm viel Potenzial zu, und auch in der Serie werden Chancen wie Empowerment, Aktivismus und die Bildung von Communitys betont. Doch es sind vor allem die Schattenseiten, die von den Jugendlichen hervorgehoben werden. Immer wieder fällt der Satz, dass Social Media die mentale Gesundheit junger Menschen gefährden, sie vereinsamen. Antisocial statt social? Es kommt darauf an: Wie nutzt man die Kanäle? Mit wem und vor allem in welcher Stimmung? Die Serie zeigt empathisch, dennoch eindringlich, wie Social Media zum Katalysator und damit verstärkend für mentale Probleme wie Depressionen, Versagensängste und Essstörungen werden können – bis hin zum Suizid1. Hier schwingt eine bedrückende Stimmung mit, die so gar nicht in das Bild passt, das wir häufig von den bunten Apps haben. Gleichzeitig ist genau diese Transparenz so wichtig, um auch jene Generation zu verstehen, die oftmals viel zu schnell verurteilt wird.
 

Sozialisiert durch TikTok und Co.

Gen Z, das ist für viele jene Generation, die nur am Handy hängt. Schaut man die Serie Social Studies, ist das wohl kaum zu bestreiten, aber es fällt leichter, dies nachzuvollziehen. Für die Gen Z sind Social Apps nicht nur primäre Kommunikations- und Austauschmittel, sondern eine zentrale Sozialisationsinstanz. Alle relevanten Entwicklungsprozesse werden dort fast schon selbstverständlich ausgehandelt. Gleichzeitig schaffen Social Media einen Ort, an den man (als junger Mensch) entfliehen kann – Eskapismus at its best. Während die Welt durch Corona und politische Geschehnisse zusammenzubrechen droht, sind Social Media eine Konstante, die für den notwendigen Dopamin-Kick sorgt. Oder, wie Valentina Vapaux in ihrem Buch Generation Z: Zwischen Selbstverwirklichung, Insta-Einsamkeit und der Hoffnung auf eine bessere Welt schreibt: „Scrollen ist einfach, leben viel zu schwer.“

Doch nur das Aufwachsen mit sozialen Medien ist noch lange kein Garant für einen bewussten Umgang mit eben diesen. Social Studies zeigt auf ungeschönte Art und Weise, dass ein gesunder Umgang mit Social Media mühsam erlernt und erfahren werden muss. Die Jugendlichen in der Serie versuchen dies, indem sie ihre negativen Erfahrungen teilen und Strategien für einen reflektierten Social-Media-Konsum ableiten. So erzählt Cooper beispielsweise von ihrem selbstproduzierten Podcast, der sich um das Thema mentale Gesundheit dreht. Gleichzeitig herrscht bei allen Jugendlichen Konsens darüber, dass es vor allem die Beziehungen im echten analogen Leben sind, die man pflegen sollte. Dass nicht alles geteilt werden muss, dass Anerkennung und Wertschätzung durch körperliche Umarmungen eines Freundes oder einer Freundin bedeutsamer sind als die Klicks von Fremden. Beeindruckend sind hierbei der Mut und die Stärke der Jugendlichen, etwas bewegen und nachfolgenden Generationen helfen zu wollen.

Die Serie entfernt viele Filter, die sich auf das Thema Social Media legen lassen. Sie sensibilisiert und wird zum Sprachrohr der Gen Z, die mutig und entschlossen ist, sich nicht durch einen Algorithmus steuern zu lassen.

Anmerkung

1) Warnung: Episode 5 enthält Inhalte zum Thema Suizid und suizidale Gedanken, die für einige Zuschauende belastend sein können. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, Unterstützung benötigt, kontaktieren Sie bitte die bundesweite Telefonseelsorge unter: 116 123. Weitere Hilfsangebote finden Sie auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.


Freigegeben ab 12 Jahren | ab 20 Uhr
Freigegeben ab 16 Jahren | ab 22 Uhr

 

Social Studies ist eine Serie, die sich mit den Entwicklungsthemen junger Menschen auseinandersetzt, wodurch sie für ein Publikum ab 12 Jahren anschlussfähig ist. Die Serie schafft einen transparenten Blick auf die Schattenseiten von Social Media. Thematisiert werden Cybermobbing und Onlinehetze, wobei verbale Gewaltandrohungen in Chats und Kommentarspalten beispielhaft besprochen werden. Diese sind zwar kurzzeitig bewegend, werden jedoch ausreichend kontextualisiert und sind insgesamt moderat bebildert. Gewaltanwendungen, wie Waffengewalt im Schulkontext, werden ausreichend kritisch eingeordnet. Mentale Probleme wie Depressionen Essstörungen oder Körperverzerrungen werden zu keiner Zeit propagiert oder verzeichnet.

Trotz schwerer Themen ist der Grundton der Serie empathisch – die Jugendlichen zeigen sich willensstark, für sich und ihre mentale Gesundheit einzustehen und ihren eigenen Medienkonsum bewusster zu steuern. Lösungsorientiert werden Handlungsoptionen wie das Löschen bestimmter Apps, das Reduzieren der Onlinezeit oder die Unterstützung durch Selbsthilfegruppen aufgeführt. Aufgrund der differenzierten Darstellung ohne übermäßige Dramatisierung wurde eine der zwei geprüften Episoden ab 12 Jahren und für das Hauptabendprogramm freigegeben. Die in einer weiteren Episode behandelte Suizidthematik wurde hingegen für ab 12-Jährige als potenziell ängstigend und verstörend bewertet. Ab 16-Jährigen kann jedoch zugetraut werden, die entsprechenden Schilderungen vor dem Hintergrund der besprochenen Suizid-Prävention hinreichend einordnen zu können.

Über die Autorin:

Lena Wandner studierte Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt und ist Prüferin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Aktuell ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig.

Bitte beachten Sie:

Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.

Weiterlesen:   Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:

Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:   Jugendschutz bei Streamingdiensten