Viele kleine Nadelstiche
Die Dokumentation „Hass.Hetze.Hoffnung.“

- Hass.Hetze.Hoffnung.
- D 2024Dokumentation/Reportage
- Anbieter
- RTLZWEI, RTL+
- Zu sehen
- am 25.03.2025
Mitunter bietet auch die Programmprüfung Überraschendes. Das RTLZWEI – neben vielem anderen– mit journalistischen Formaten wie der Sozialreportage Hartes Deutschland – Leben im Brennpunkt (SPIEGEL TV) seit Jahren gesellschaftlich Relevantes ausstrahlt, kann nicht oft genug hervorgehoben werden. Nun läuft der zweiteilige Dokumentarfilm Hass.Hetze.Hoffnung. (D 2024, Regie: Quỳnh Lê Nguyễn, Claudia Tuyết Scheffel) über den Mord an einer chinesischen Studentin 2016 in Dessau und den Kampf der asiatisch-deutschen Community gegen Stereotype und Alltagsrassismus.
Der Film entstand im sendereigenen, 2021 gegründeten DokuLab, einer „Kreativwerkstatt für Dokumentarfilmerinnen und ‑filmer“ (RTLZWEI 2025), in der Ideen für Projekte umgesetzt werden sollten, „die einem primär jungen Publikum gesellschaftlich oder politisch relevante Themen und Geschichten vermitteln wollen“ (ebd.). Aus ca. 130 Einreichungen wählte eine unabhängige Jury neun Projekte zu Themen wie Migration, Rassismus oder schwer zugänglichen Milieus für eine weitere Bearbeitung in einer Masterclass aus. Am Ende fiel die Wahl auf das Projekt „Hass.Hetze.Hoffnung.“. RTLZWEI gab die Produktion in Auftrag und finanzierte sie auch. Bedauerlicherweise wird DokuLab nicht fortgesetzt.
Der erste Teil der eindringlichen Dokumentation widmet sich dem Mord an der chinesischen Studentin Lǐ Yángjié 2016 in Dessau. Dort sah sich die Polizei seit dem gewaltsamen Tod von Oury Jalloh 2005 wiederholt massiven Vorwürfen und Anklagen im Zusammenhang mit ausländerfeindlichem und rassistischem Verhalten ausgesetzt. In der Dokumentation stehen jedoch nicht die Täter*innen im Mittelpunkt, sondern die das Opfer teilweise diffamierende mediale Berichterstattung sowie die Kritik an den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Erwähnt werden zahlreiche Fehler, Unterlassungen und Vertuschungen von Angehörigen der Täter*innen. Kritik wird aber auch am Prozess geübt. Gleichwohl die real geschehene Gewalt das „gänzlich verrohte, dissoziale Verhalten der Täter“ (FSF-Prüfgutachten) deutlich macht, wird die rassistische Konnotation offenkundig. Das mögliche rassistische Tatmotiv und Stereotype gegenüber asiatisch gelesenen Frauen und die damit einhergehende Mehrfachdiskriminierung werden ebenso angesprochen wie die Bedeutung des Falls für die asiatisch-deutsche Community bis heute. Die überwiegend sachliche Dokumentation verzichtet auf der visuellen Ebene gänzlich auf spekulative Bilder.

Die Doku beleuchtet den Mord an der chinesichen Studentin Lǐ Yángjié aus einer neuen Perspektive (© RTLZWEI, NEOS Film, Gute Zeit Film)
Der zweite Teil widmet sich allgemeiner dem anti-asiatischen Alltagsrassismus in Deutschland. In Interviews berichten Betroffene von ihren alltäglichen Lebenserfahrungen. Dabei wird teilweise auf den sexualisierten Rassismus fokussiert, der Frauen südostasiatischer Herkunft „hypersexualisiert“ und ihnen bestimmte Merkmale, wie „unterwürfig“, „verfügbar“, „willig“ zuordnet. Opfer von Rassismus und sexualisierter Gewalt berichten von ihren Erfahrungen. Aussagen und Analysen der Journalistin Vanessa Vu, des Politologen Dr. Kien Nghi Ha oder der Soziologin Dr. Kimiko Suda werden ergänzt durch Schilderungen des früheren Models Long Nguyen sowie der Rapperin Nashi44 und ihren Songs, deren radikale Texte sich mit dem alltäglichen Rassismus und Sexismus auseinandersetzen. Gerade der Umgang von Long Nguyen und Nashi44 mit dem Alltagsrassismus, den sie durch die Corona-Pandemie noch einmal stärker gespürt haben, und ihrem Kampf dagegen entfaltet empowernde Wirkungen.


Neben den „vielen kleinen Nadelstichen“ des Alltagsrassismus, dem sexualisierten Rassismus und der damit verbundenen Gewalt steht eine weitere Eskalation von Rassismus im Vordergrund. Ausgehend vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 gegen das überwiegend von Vietnamesinnen und Vietnamesen – ehemalige DDR-Vertragsarbeiter und ihre Kinder – bewohnte „Sonnenblumenhaus“ und die darin befindliche Herberge der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber, konzentriert sich der Film auf den Brandanschlag gegen ein Übergangsheim für Geflüchtete in der Hamburger Halskestraße, der 1980 durch drei Mitglieder der rechtsextremen Terrororganisation „Deutsche Aktionsgruppen“ verübt wurde. Die beiden Bewohner Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân starben an ihren schweren Verbrennungen.


Der Film verknüpft Rassismus und Gewalt, wobei die Betroffenen sich aktiv mit Stigmatisierungen und deren Folgen auseinandersetzen. Damit zeigt die Dokumentation klare Vorbilder, die sich gegen rassistische Denkweisen und Handlungen zur Wehr setzen. Die Interviewten haben einen Weg gefunden, sich mithilfe aktiver Handlungen gegen Rassismus zu wehren.
Quelle:
RTLZWEI 2025: Was ist das Doku Lab? In: unternehmen.rtl2.de (letzter Zugriff: 28.02.2025)
Freigegeben ab 12 Jahren | ab 6 Uhr und ab 20 Uhr
Ausgehend vom Mord an einer chinesischen Studentin richtet die berührende und reflektierte Dokumentation seinen Fokus auf anti-asiatischen Rassismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und die damit verbundene Mehrfachdiskriminierung. Das gesellschaftlich hochrelevante Thema wird auf sozialethisch orientierende Weise präsentiert.
Teil 1 der Dokumentation ist in seiner Gewaltzeichnung zurückhaltend und verzichtet auf spekulative Bilder. Vor diesem Hintergrund können die drastische verbale Schilderung der Tat, die eindringlichen Erzählungen betroffener Mitmenschen sowie die Nachvollziehbarkeit der brutalen Gewalttat von älteren Kindern verarbeitet werden, ohne dass eine nachhaltige Ängstigung zu befürchten wäre. Der Prüfausschuss gab diesen Teil daher für das Hauptabendprogramm frei.
In Teil 2 liegt der Schwerpunkt auf aktiven Bewältigungsstrategien der interviewten Personen, die sich vorbildhaft gegen rassistische Denkweisen und Handlungen zur Wehr setzen. Da hierdurch eine nachhaltige Ängstigung auch jüngerer Zuschauender vermieden wird, erteilte der Prüfausschuss für den zweiten Teil eine Freigabe für das Tagesprogramm ab 12 Jahren.
Über den Autor:
Matthias Struch studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte. Er ist Hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e. V. und Sammlungsleiter im Deutschen Historischen Museum.
Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.
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