Nicht ohne meinen Dosenthunfisch

Die Dokuserie „My Strange Addiction: Still Addicted?“

Katja Spranz
MY STRANGE ADDICTION: STILL ADDICTED? (Bild: © 2024 Warner Bros. Discovery, Inc. or its subsidiaries and affiliates. All rights reserved)
My Strange Addiction: Still Addicted?
USA 2022Reportage/Dokumentation
Anbieter
TLC
Zu sehen
ab 15.05.2024

Es gibt nichts, was es nicht gibt – auf dieser Erkenntnis basierte die Sendung My Strange Addiction: Vor zehn Jahren wurden Menschen mit ungewöhnlichen Süchten in ihrem Alltag begleitet. My Strange Addiction: Still Addicted? ist die Fortsetzung, mit neuen und alten Geschichten. Was wurde z. B. aus der Extrem-Bodybuilderin Lauren und den Frauen mit meterlangen Haaren bzw. Fingernägeln? Wie steht es heute um Karmello, die süchtig nach illegalen Po-Injektionen war? Lori schlief damals schon seit Jahrzehnten neben dem eingeschalteten Föhn – und jetzt?

Die Süchte der neuen Protagonist:innen sind nicht weniger kurios. Nick und Aubrey trinken ihren eigenen Urin, ständig und fast ausschließlich. Tyler ist süchtig nach Thunfisch in Dosen; selbst während eines ersten Dates schnüffelt er daran. Brittany wiederum liebt den Geschmack und die Konsistenz von Sitzpolsterschaum.

This Woman Sleeps With Her Blow Dryer? | My Strange Addiction: Still Addicted? (TLC, 02.08.2023)


Bei der Bewertung dieses Formats unter Jugendschutzaspekten geht es nicht um Geschmacksfragen, sondern u. a. darum, ob die Protagonist:innen vorgeführt werden. Wenn Menschen etwa lächerlich gemacht werden, kann dies eine desorientierende Wirkung haben, beispielsweise durch einen Empathieabbau. Außerdem sollten keine fragwürdigen Vorbilder etabliert werden. Bei jüngeren Kindern ist auch das Risiko eines Nachahmungseffektes zu beachten. Die Zielgruppe sollte das gezeigte Verhalten also einordnen können.


Freigegeben ab 12 | ab 06.00 Uhr

 

 

Der FSF-Prüfausschuss hat die drei vorgelegten Episoden der 2. Staffel einstimmig für das Tagesprogramm und ab 12 Jahren freigegeben. Bei einer Freigabe für das Tagesprogramm muss dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung getragen werden. Verstörende Einzelbilder oder gefährliches Verhalten, das von Jüngeren etwa als interessante „Challenge“ aufgefasst werden könnten, gibt es in den vorgelegten Episoden nicht. Es wird zwar nicht mit Bildern gespart, die die Kuriosität betonen – wenn Nick und Aubreys exzessives Urintrinken mit cartoonhaften Schluckgeräuschen unterlegt ist oder auf überlange Fußnägel gezoomt wird –, aber die Protagonist:innen werden nicht abgewertet. Sie haben Familie und Freunde, die sich Normalität für sie wünschen und zu ihnen halten. Ihnen wird mit Empathie begegnet, Psycholog:innen und Ärzt:innen ordnen ihr Verhalten ein und entkräften pseudowissenschaftliche Argumente. Sie warnen Ayanna vor den Folgen ihrer meterlangen Fingernägel und Lori vor dem Nachahmungseffekt, den ihre Föhnsucht auf ihre Tochter haben könnte. Die schönheitsbezogenen Süchte, die gezeigt werden, haben extreme Auswirkungen: Lacey etwa sieht nach über hundert Eingriffen fast comichaft aus; Bodybuilderin Lauren hat nach exzessivem Training einen Körper, der nur noch aus Muskeln zu bestehen scheint. Es ist kaum anzunehmen, dass Kinder und Jugendliche hier nacheifern wollen, auch wegen des Alters der Protagonist:innen.

Drastische OP-Bilder, die ängstigen könnten, werden nicht gezeigt. Der Ekel bzw. das Distanzierungsmoment überwiegen. Die Protagonist:innen scheinen sich in ihrer Besonderheit bewusst im Fernsehen zu zeigen; alle haben ein Umfeld, das gegebenenfalls als Korrektiv auftritt: Tylers Freunde begleiten ihn amüsiert, aber liebevoll; Nicks Familie ist etwas fassungslos, hält aber zu ihm. Fragwürdige Vorbilder werden nicht aufgebaut, da der Aspekt des Außergewöhnlichen der gezeigten Süchte überwiegt.

Über die Autorin:

Katja Spranz hat Kulturanthropologie in Rom studiert und war TV-Redakteurin (u.a. bei „Big Brother“). Während ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ in Bonn hat sie über Krimiserien in der DDR promoviert.

Bitte beachten Sie:

Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.

Weiterlesen:   Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:

Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:   Jugendschutz bei Streamingdiensten