Schräge Neue Welt
Die Reality-Serie „The Secret Lives of Mormon Wives“

- The Secret Lives of Mormon Wives
- USA 2025Dokumentation/Reportage
- Anbieter
- Disney+
- Zu sehen
- ab 15.05.2025
Zu vergangenen Vorstellungen der Zukunft gehörten neben fliegenden Autos, Videotelefonie, Teleportation, Vergnügungsreisen ins Weltall auch Roboter, die die Hausarbeit übernehmen. Während einiges davon für uns heute selbstverständlich ist, ist anderes (noch?) nicht gekommen, und wieder anderes ist hinzugekommen, mit dem niemand damals rechnete: Dass Menschen zum Beispiel ihrem Broterwerb über die Zurschaustellung ihres Privatlebens durch Plattformökonomien nachgehen und dabei vor allem ihr sexuelles Kapital zum Einsatz bringen würden. Dass die Grenze zwischen Intimität und überwachter Öffentlichkeit aufgehoben wird und die Menschen selbst zu generischen oder KI-generiert anmutenden Personae werden, die fremdbestimmte Bilder und Skripte derart verinnerlichen, dass sie selbst nicht mehr unterscheiden können, was ihnen verkauft wurde und was sie verkaufen.
Anstatt einen Androiden zu haben, ist man selbst einer. Anstatt in eine Fabrik oder ein Büro zur Arbeit zu gehen, wird das eigene Heim zum Marktplatz, der nur der Gunst des Algorithmus bedarf, um Tantieme auszuschütten. Verwechselbare Figuren spielen sich selbst und ihr eigenes Leben für die Follower. Freundschaften, Beziehungen und Skandale suchen und erzeugen sie nach dem Prinzip des besten Deals.
Trailer The Secret Lives of Mormon Wives (Hulu, 23.04.2025)
So jedenfalls mutet das Soziotop der „Mormon Wives“ eindrücklich an, das je nach Blickwinkel unsere dystopische oder utopische schöne neue Welt der Momfluencerinnen zeigt. Während das mormonische Setting als leicht exotische Kulisse der täglichen telenovelaartigen Dramen, Intrigen und Exaltationen der eigentlich konservativen, heteronormativen Geschäftsfrauen fungiert, bietet ihr kontrastierendes, frivoles Sexualleben den klassichen USP (Unique Selling Point) der Serie. Geschlechtsreife TikTokerinnen monetarisieren ihre Paarungszeit. Alles ist Öffentlichkeitsarbeit und Marketing: die Ehemänner und Affären, die Mocktails am Abend, die Gespräche, die Schwangerschaften und gravitätischen Roben, der Narzissmus. Was wird sich rentieren? Was führt zum Konkurs?
Die Wives performen so routiniert, dass sie auch untereinander teils nicht mehr wissen, welche gefilmten Tränen echt sind. Das ist aber interessanterweise nicht mehr relevant, denn die eigentliche Frage ist nicht jene nach der Authentizität der Tränen, sondern jene nach der besten Performance. Wird sie viral gehen? Wird sie die Follower bei der Stange halten? „Geheimnisvoll“ ist dabei eher ein Adjektiv des Brandings, denn jedes „Secret“ ist immer schon eine öffentliche Kommodität im Sinne einer erfolgreichen PR-Aktion im nächsten #MomTok, um die eigene Reichweite zu expandieren und mehr zu verkaufen, wie zum Beispiel das Amazon-Prime-Lebensgefühl mitsamt attraktiver Mom-Produkte. Wobei vielleicht gerade das am Ende doch irgendwie rätselhaft und voller Geheimnisse ist …
Freigegeben ab 12 und ab 16 Jahren | ab 20 und ab 22 Uhr
Aus Jugendschutzperspektive ist einzig die Risikodimension der sogenannten sozialethischen Desorientierung relevant, da die Folgen keine ängstigenden oder gewaltbefürwortenden Inhalte aufweisen. In unterschiedlichen Settings, wie einem therapeutischen Rahmen oder am Abend beim Besuch einer Burlesqueshow, werden unterschiedliche Drogen konsumiert. Die Darstellung von Drogenkonsum wird in den Prüfausschüssen der FSF immer im Hinblick auf das Risiko einer möglichen Desorientierung diskutiert, d. h., ob der Konsum attraktiv, zielführend oder verharmlosend wirken könnte und Jugendlichen ein falsches oder unvollständiges Bild von Drogen vermittelt. Erfolgte eine kritische Einordnung, wurde die Folge ab 12 Jahren freigegeben, da das spezifische Milieu der wohlhabenden mormonischen Momfluencerinnen eine erhebliche Lebensferne zum Alltag deutscher Jugendlicher bietet, was als Distanzierungsangebot bei der Rezeption dient. Das Dargestellte wird nicht direkt ins eigene Leben übertragen. Jugendliche befriedigen ihr voyeuristisches Begehren, Einblick in eine für sie fremde Welt aus sicherer Distanz zu erhalten.
Lediglich in einer Folge der zweiten Staffel, in der die Einordnung einer Droge, in diesem Fall Ketamin, fehlte, wurde die integrale Fassung ab 16 Jahren freigegeben, da wiederum die Protagonistinnen durchaus als jugendaffin eingeschätzt wurden. Relativierend war in jenem Fall der Kontext (Therapie bei Eheproblemen), der für Jugendliche noch keine Rolle spielt, weswegen die Folge ab 16 und nicht erst ab 18 Jahren freigegeben werden konnte, obwohl die Kohorte der ab 16-Jährigen in Bezug auf Drogen als gefährdungsgeneigt gilt. Bis auf jene Folge wurde die Serie im Hauptabendprogramm verortet, da sie für die relativ medien- und informationskompetente Gruppe der ab 12-Jährigen keine entwicklungsbeeinträchtigenden Risiken mehr enthält.
Über die Autorin:
Jana Papenbroock studierte Audiovisuelle Medien an der Kunsthochschule für Medien in Köln mit einem Auslandssemester an der CalArts in Kalifornien. Sie arbeitet als freie Autorin und Regisseurin für Film, Fernsehen, Theater, Videoinstallation und Hörspiel.
Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.
Weiterlesen: Sendezeiten und Altersfreigaben
Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.
Weiterlesen: Jugendschutz bei Streamingdiensten


