Kindesmissbrauch, psychische Krankheit und Trauma

Die Thriller-Serie „Krähenmädchen“

Bernward Hoffmann
KRÄHENMÄDCHEN (© ITV Studios. All rights reserved)
Krähenmädchen
GB 2025Thriller
Anbieter
MagentaTV
Zu sehen
ab 06.03.2025

Die sechsteilige englische Mini-Serie Krähenmädchen (The Crow Girl) basiert auf dem ersten Teil der erfolgreichen Victoria-Bergmann-Trilogie des schwedischen Autorenduos Erik Axl Sund (Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist). Die Serienhandlung wurde von Stockholm ins englische Bristol verlagert.

DCI Jeanette Kilburn, ihr Kollege DI Lou Stanley und der etwas unbeholfene, aber kluge Assistent Mike jagen eine:n Mörder:in, der/die es scheinbar auf junge Männer abgesehen hat – wie sich herausstellt, alles Jugendliche im Status der Asylsuche. In der Forensik fällt auf, dass die nackten Leichen vor allem an den Füßen merkwürdig „fürsorglich“ behandelt wurden. Jeanette bezieht die Psychotherapeutin Dr. Sophia Craven in die Ermittlungen mit ein. Diese liefert ihr wichtige Informationen zu einem Verdächtigen, dem pädophilen Zahnarzt Carl Lowry.

Drei Parallelhandlungen werden immer wieder aufgegriffen: Eine Handlung verfolgt die mysteriöse Therapeutin, die immer wieder Stimmen einer angeblich verschwundenen Patientin namens Victoria Burkeman hört; die zweite folgt dem Schicksal des asylsuchenden Jungen Amar, der in illegale Boxkämpfe auf Leben und Tod gerät, aber auch dem Polizisten Mike wertvolle Hinweise liefert. Der dritte Handlungsstrang folgt dem Mädchen Madeleine Burkeman, das von seinem Vater Ben missbraucht wird, was die Mutter mitbekommt, aber ignoriert.

Trailer Krähenmädchen (MagentaTV, 28.02.2025)


Ähnliche Psychothriller gab es unter den zahlreichen Serien der letzten Jahre viele. Aber die Verquickung der Themen Kindesmissbrauch, psychische Krankheit und Trauma sowie ein offensichtlich mächtiger Ring von Tätern ist schon besonders eindringlich. Die ermittelnde Polizistin Jeanette ist stark und eigenwillig charakterisiert. Sie steckt selbst in familiären Problemen und muss die Korruption des vertrauten Kollegen Lou verarbeiten. Je tiefer DCI Kilburn gräbt, desto verstörender werden die Enthüllungen um Missbrauch, Vergeltung und gestörter Identitäten. Zugleich entwickelt sich zwischen der Polizistin und der Therapeutin eine persönliche, zum Ende hin auch intime Beziehung. Erst am Schluss erfahren die Zuschauer:innen – das sei hier verraten –, dass Victoria und Sophia ein und dieselbe Person sind. Was mit der passiert, bleibt im Cliffhanger für die Fortsetzung offen.

Trotz schwedischer Buchvorlage präsentiert die TV-Serie keinen Nordic-Noir-Thriller, in Stil, Charakteren und Farbgebung erkennt man die englische Produktion; die vorgesetzte Inspektorin in steifer englischer Uniform wird z. B. mit „Ma’am“ angesprochen. Der Soundtrack von Adam Price, veröffentlicht auch bei den üblichen Streamingdiensten, ist durchgehend düster und spannungsgeladen. Die Serie endet mit Bildern der drei zentralen Opfer: Madeleine, Victoria und Sophia. Dazu hört man aus dem Off eine Botschaft: „Auf dieser Welt gibt es Wahrheiten und Lügen. Und die Wahrheit ist, dass mit kleinen Mädchen Böses gemacht wird und dass mit kleinen Jungens Böses gemacht wird. Entweder man zwingt dich zum Kämpfen oder zum Ficken. Dein Licht wird ausgelöscht.“ Zum letzten Satz sieht man, wie ein Mann auf dem Hof rohes Fleisch aus einem Eimer den Schweinen zum Fraß vorwirft.

 

Freigegeben ab 16 Jahren | ab 22 Uhr
 

 

Eine Sendezeit im Spätabendprogramm in Verbindung mit einer Altersfreigabe ab 16 Jahren ist für ähnlich düstere Thrillerserien üblich. Doch auch bei dieser Altersstufe sind potenzielle Risikodimensionen abzuwägen. Die Cliffhanger am Ende der jeweiligen Episoden zeigen deutlich das Ansteigen von Dramatik und Gewalt in der Serie. Gewalt ist Gegenstand der Ermittlungsarbeit und wird aufgedeckt, aber an keiner Stelle der Serie modellhaft befürwortet. Ab 16-Jährigen ist zuzutrauen, dass sie mithilfe ihrer Genrekompetenz die zunehmende Dramatik in einer visuell düsteren Grundstimmung mit einem spannenden Soundtrack einordnen können oder mit der Einsicht „nichts für mich“ den Ausschaltknopf drücken. Ebenso ist mit Blick auf die Bearbeitung des Themas Kindesmissbrauch Zuschauenden ab 16 Jahren zuzutrauen, einen eigenen Standpunkt einzunehmen. Selbstjustiz spielt zwar eine Rolle in der Serie; durch die polizeiliche Ermittlung sind Unrecht und Unsinn dieses Handelns jedoch klar bewertet.

Über den Autor:

Dr. Bernward Hoffmann ist Professor i. R. für Medienpädagogik an der FH Münster im Fachbereich „Sozialwesen“ und Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Er publiziert zu Themen der allgemeinen Medienpädagogik, der (Kinder‑)Filmarbeit, der praktischen Medienarbeit und des Jugendmedienschutzes.

Bitte beachten Sie:

Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.

Weiterlesen:   Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:

Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:   Jugendschutz bei Streamingdiensten