Piranha im Haifischbecken

Die Drama-Serie „Swimming with Sharks“ bei MagentaTV

David Assmann

David Assmann ist freier Filmkritiker, Filmemacher und Filmwissenschaftler. Er ist Mitglied des Auswahlgremiums von Berlinale Generation, der Jury für den Kinder & Jugend Grimme­ Preis und seit 2018 Prüfer bei der Frei­willigen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Programm Swimming with Sharks
  Drama-Serie, USA 2022
SenderMagentaTV, ab 28.04.2022

Online seit 11.05.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/piranha-im-haifischbecken-beitrag-1124/

 

 

Lou Simms (Kiernan Shipka), eine junge Frau von Anfang zwanzig, kommt nach Hollywood, um sich ihren Traum von einer Karriere im Filmgeschäft zu erfüllen. Als Praktikantin im altehrwürdigen Filmstudio Fountain Pictures wird sie mit einer Arbeitswelt konfrontiert, die von Leistungsdruck, Intrigen und Machtmissbrauch geprägt ist. Wenn ihre Vorgesetzten Travis (Thomas Dekker) und Alex (Ross Butler) nicht gerade Praktikantinnen schikanieren, überbieten sie sich darin, ihrer Chefin Joyce Holt (Diane Kruger) jeden extravaganten Wunsch von den Augen abzulesen. In der Hierarchie über Joyce steht nur noch der alte Studioboss Redmond (Donald Sutherland), der aus dem Krankenbett heraus noch Kontrolle über das Studio ausübt und dessen Ableben Joyce seit Langem herbeisehnt.

Die Unschuld vom Lande, die in die Großstadt kommt, sich in der Ellenbogengesellschaft der Arbeitswelt profiliert und schließlich den Respekt ihrer exzentrischen Chefin gewinnt – auf den ersten Blick scheint Swimming with Sharks der Erfolgsformel von Der Teufel trägt Prada (2006) zu folgen. Doch schon in der ersten Folge gibt es Hinweise, dass die Dinge hier ein wenig anders liegen. In der Eingangssequenz deuten kurze Bilder einer Frauenleiche und einer blutverschmierten Badewanne ein Verbrechen an. Auch ist Lou mitnichten so unbedarft, wie sie mit ihrer geflochtenen Hochsteckfrisur und den lieblichen Kleidchen rüberkommt. Flashbacks verraten eine obsessive Beziehung zu Joyce, aufmerksam verfolgt sie ihre Onlinevorträge und spricht mit geradezu religiöser Hingabe ihr Mantra mit: „Wir tun, was wir müssen, um zu kriegen, was wir wollen.“ Und so scheint es bei dieser vermeintlichen Unschuld vom Lande auch um die Unschuld nicht weit her zu sein: Souverän setzt sie Sex ein, um an ihr Ziel zu gelangen. Worin aber dieses Ziel besteht, das bildet den Spannungsbogen, der sich über die sechs Episoden spannt.
 

Trailer Swimming with Sharks (MagentaTV, 29.04.2022)



Der filmische Anknüpfungspunkt ist daher weniger Der Teufel trägt Prada, sondern vielmehr Unter Haien in Hollywood (im Original: Swimming with Sharks), ein schwarze Indie-Komödie aus dem Jahr 1994, in der ein Produktionsassistent so lange von seinem Chef drangsaliert und gedemütigt wird, bis er den Spieß umdreht und seinen Peiniger als Geisel nimmt. Es ist eine bitterböse Satire auf das ausbeuterische Filmbusiness, aber das branchentypische Klima aus Misogynie und Sexismus thematisiert der zurzeit von Harvey Weinsteins Aufstieg in Hollywoods Machtzentrum entstandene Film höchstens mit seinem zynischen Ende (das man, bei weniger wohlwollender Betrachtung, allerdings auch als Ausdruck ebendieser Misogynie verstehen kann). Den fiesen Filmproduzenten spielt – ausgerechnet – Kevin Spacey.

Die Serie Swimming with Sharks ist hingegen zweifelsohne ein Produkt der #MeToo-Ära. Systemischer Sexismus ist hier ein dominantes Handlungselement. „Ich hatte das Gefühl, ein System zu unterstützen, das mich nicht unterstützt“, erklärt Joyce einmal ihre Entfremdung von den Verheißungen Hollywoods. Den Weg bis (fast) an die Spitze des Studios, so viel wird deutlich, hat sie sich von Redmond mit sexueller Unterwerfung erkauft, und noch vom Sterbebett übt er seine manipulative Macht über sie aus.
 


Freigegeben ab …
 

Von der FSF wurden die ersten vier Folgen geprüft und antragsgemäß für eine Ausstrahlung im Hauptabendprogramm freigegeben. Mit ihrer jungen Protagonistin und dem Schauplatz Hollywood wurde die Serie zwar als durchaus jugendaffin eingeschätzt. Jedoch böten die Figuren kaum Identifikationspotenzial; selbst Lou bleibt aufgrund ihrer unklaren Motivation und rätselhaften Absichten identifikatorisch entrückt. Daraus resultiert eine eher distanzierte Rezeptionshaltung, durch die problematisches Verhalten wenig wirkmächtig erscheint. Sexszenen sind nicht übermäßig lang ausgespielt oder detailliert dargestellt, sodass eine nachhaltige Überforderung oder Verletzung der Schamgrenze Zwölfjähriger nicht angenommen wurde. Im Handlungsstrang um den unerfüllten Kinderwunsch von Joyce und ihrem Mann Miles (Gerardo Celasco) kommt es zu stark sexualisierten Äußerungen („Ich stecke dir meinen Schwanz rein und ficke dich, bis du nicht mehr gehen kannst.“) und der Darstellung eines Pornos auf einem Handybildschirm. Die Pornografie ist hier jedoch erzählerisch eingebunden als prägnanter Kontrast zu den realen Eheproblemen eines erwachsenen Paares.

Kontrovers diskutiert wurden mehrere rassistische Ausdrücke von Redmond, der beispielsweise (in den Episoden 1 und 3) asiatische Investoren als „Schlitzaugen“ bezeichnet. Die Ausschussmehrheit wertete diese Ausdrücke als unbedenklich, da sie einer klar negativ gezeichneten Figur zugeordnet sind und deren abwertenden Charakterisierung dienen. Nachahmungseffekte oder die Übernahme problematischer Werte seien infolgedessen nicht zu erwarten. Eine Minderheit sah hingegen die Gefahr der Normalisierung und Perpetuierung rassistischer Begriffe gegeben und plädierte mit Nachdruck für Schnittauflagen.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Weiterlesen:
Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:
Jugendschutz bei Streamingdiensten