Wirkungsrisiko „Übermäßige Angsterzeugung“


Kinder wachsen nicht angstfrei auf

Es ist nicht davon auszugehen, dass Kinder in einem angstfreien Umfeld aufwachsen. Würde man Kinder grundsätzlich von Angst auslösenden Inhalten fernhalten, fehlten ihnen wichtige Lernfelder, in denen sie proben können, Ängste auszuhalten und zu überwinden. Was Kinder ängstigt, deckt sich nicht immer mit dem, was Erwachsene als bedrohlich einschätzen. So erscheint etwa Kindern der Tod noch nicht als etwas Endgültiges und hat für sie im Film oft nicht dieselbe Bedeutung wie für erwachsene Zuschauer. Andererseits identifizieren sich Kinder stark mit anderen Kindern oder auch mit Tieren, so dass bedrohliche Szenarien, in die Kinder oder Tiere involviert sind, höhere Angstreaktionen auslösen können, als wenn Erwachsene in der gleichen Situation gezeigt werden. Jüngere Kinder können auch nicht realistisch einschätzen, wie gefährlich die im Film dargestellten Situationen sind. Sie reagieren spontan auf Gesichtsausdrücke: Ein Mensch, der ein ängstliches Gesicht hat, zeigt mehr Angst als ein Mensch mit unbeweglichem Gesichtsausdruck, dem gerade die Erschießung droht.

Angstlust als Sehmotiv

Die Simulation Angst auslösender Handlungen, die daraus entstehende Spannung und die Entspannung, wenn die Bedrohung beseitigt ist, gehört auch für Kinder zu den ausschlaggebenden Motiven, sich Filme anzuschauen. Die Fähigkeit, ängstigende Medieninhalte zu verarbeiten, entwickelt sich insbesondere im Vorschul- und im Grundschulalter. Kinder lernen die dramaturgischen und genretypischen Strukturen von Filmen kennen und wissen zunehmend, dass Filmhelden, aus deren Perspektive sie die Handlung erleben, Gefahren und Bedrohungen überwinden werden.

Wirkungsrisiken

Eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung ist bei Angeboten anzunehmen, die durch die Darstellung von physischer und psychischer Gewalt, von Bedrohungen oder von Menschen, die Opfer von Unfällen oder Katastrophen werden, bei Kindern anhaltende und nicht zu verarbeitende Ängste auslösen können (vgl. § 31 Abs. 3 Nr. 2 PrO-FSF).

Indikatoren für eine übermäßige Angsterzeugung sind

  • drastische Darstellungen von Gewalt,
  • drastische Darstellungen des Geschlechtsverkehrs,
  • unzureichende Darstellung realitätsnaher Inhalte, die im Lebenskontext von Kindern besonders angstvoll erlebt werden (z.B. Familienkonflikte),
  • eine gemessen an der Realität überproportionale Darstellung von Gewalt mit der Empfindung allgegenwärtiger Bedrohung.
     

Altersfreigaben beim Wirkungsrisiko Angst

Kinder unter 6 Jahren können sich noch nahezu überhaupt nicht vom Filmgeschehen distanzieren. Einzelszenen werden von dieser Altersgruppe zumeist noch isoliert vom Gesamtzusammenhang wahrgenommen. Emotional belastende Momente wie Bedrohungssituationen, Gewalthandlungen, heftiger Streit, Demütigung oder Verängstigung von Filmfiguren können auf Kleinkinder verstörend und ängstigend wirken und werden von ihnen in der Regel noch nicht in den größeren Sinnzusammenhang der Filmhandlung eingeordnet.

Kinder ab 6 Jahren unterscheiden zwar noch nicht in jedem Fall ganz präzise zwischen Realität und Fiktion, aber im Grundschulalter reift doch die Fähigkeit, sich von deutlich fiktionalen Bedrohungssituationen zu distanzieren und Spannungen und moderat ängstigende Situationen in kindgerechten Dramaturgien auszuhalten. Relativierende Momente, insbesondere solche, die die „Rahmung“ eines Films, den Grad an Realitätsnähe etc. betreffen, gewinnen mit zunehmendem Alter (insbesondere in den Entwicklungsphasen zwischen 6 und 12 Jahren) an Bedeutung für die Verarbeitung, so auch für die Verarbeitung potenziell ängstigender Bilder. Parallel dazu nimmt die Bedeutung der unmittelbaren visuellen und akustischen Anmutung ab.

Ab 12-Jährige sind bereits in der Lage, Filmkontexte zu verstehen und durch die z.B. im Happy End gegebene Überwindung der Gefahr zum Ende des Films ihre Ängste aufzulösen. Allerdings können auch auf ältere Kinder besonders realitätsnahe oder drastische Darstellungen noch entwicklungsbeeinträchtigend im Sinne einer nachhaltigen oder übermäßigen Angsterzeugung wirken. Genres, die auf unangenehme Emotionen und extreme Ängstigung zielen wie manche Thriller, Mystery- oder Horrorfilme sind für ältere Kinder und jüngere Jugendliche oft noch eine Überforderung.

Für die Altersgruppe der ab 16-Jährigen sollten ängstigende Inhalte und drastische Bilder von Gewalt und Gewaltfolgen im Genrekontext eingebettet sein. Auch eindringliche Schilderungen von Gewalt und Horror- und Splatterelemente können enthalten sein, sofern die Fiktionalität und Realitätsferne der Szenarien deutlich erkennbar ist. Bei stark realistischen Bezügen, jugendaffinen Themen oder sehr expliziter Ausgestaltung der Gewaltbilder ist eine Freigabe für Erwachsene zu erwägen.

Das Angstrisiko wird bei einer Freigabe ab 18 Jahren nicht allein ausschlaggebend sein. Auch eindringliche Schilderungen von Gewalt und intensive Horror- und Splatterelemente sind für erwachsene Zuschauer zugänglich, sofern sie nicht z.B. wegen gewaltverherrlichender Tendenzen die Kriterien für eine Sendeunzulässigkeit berühren.

 

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