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Ino Augsberg:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Anmerkungen zum höchsten Gut unserer Verfassung

In: tv diskurs. Verantwortung in audiovisuellen Medien, 19. Jg., 1/2015 (Ausgabe 71), S. 22-27

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wie in Stein gemeißelt präsentiert sich Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, nach dem Vorspiel von Verkündungsformel und Präambel der erste eigentlich inhaltliche Satz des Grundgesetzes. Sowohl die Position der Vorschrift ganz am Anfang der Verfassung als auch ihre rhetorische Form als Aussage, die scheinbar kein Gebot aufstellt, sondern eine Tatsache beschreibt, unterstreichen die fundamentale Bedeutung des Satzes: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist der erste, entscheidende Grundsatz unserer Verfassung. Auf ihm bauen alle weiteren normativen Vorgaben und Konzeptionen auf; an ihm müssen sie sich messen lassen. Normativ kommt die herausragende Relevanz der Vorschrift auch dadurch zum Ausdruck, dass Art. 1 Abs. 1 GG von der sogenannten „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG erfasst ist: Die Garantie der Menschenwürde darf selbst vom verfassungsändernden Gesetzgeber nicht verändert oder gar abgeschafft werden. Die Aussageform des Satzes kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Würdeverletzungen in der Vergangenheit erfolgt sind und aktuell stets möglich bleiben. Nur deshalb sind sie normativ untersagt. Die Menschenwürde ist nicht bloß hehres Prinzip. Ihr Schutz muss juristisch operationalisiert, d.h. in konkrete Entscheidungen umgemünzt werden können. Das setzt eine nähere Bestimmung des Normgehalts voraus: Was genau wird hier geschützt? Wer ist Träger der rechtlichen Garantie? Vor wem erfolgt der Schutz? Lassen sich Beeinträchtigungen der Menschenwürde zumindest in extremen Ausnahmesituationen rechtfertigen? Erst wenn diese allgemeinen Fragen geklärt sind, kann nach einer konkreteren Anwendungssituation, dem Würdeschutz in und gegenüber den Medien, gefragt werden.

 

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