
Conni fällt in den Brunnen
Kriterien zur Abgrenzung bei der Altersfreigabe 0, 6 und 12: Die FSF-Jahrestagung 2025
Die Jahrestagung der FSF begann mit der Vorfreude aufeinander, denn inzwischen sind Onlineprüfungen der Regelfall und wirkliche Begegnungen rar geworden. Am 4. Juli war es so weit: Echte Menschen trafen sich bei schönstem Sommerwetter im Berliner Stadtteil Wedding im Silent Green, einem zum Kulturort umgewidmeten Krematorium.

Thema der Tagung waren Altersfreigaben für Kinder. Sendungen, die ab 0 oder ab 6 Jahren freigegeben sind, können im Fernsehen ohne Sendezeitbeschränkung ausgestrahlt werden. Auch vieles mit einer Freigabe ab 12 Jahren kann tagsüber gesendet werden, sofern das Wohl jüngerer Kinder nicht beeinträchtigt wird.
Hier könnte man spitzfindig nachfragen, ob eine Altersfreigabe ab 12 Jahren nicht genau das bedeute. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Nur die, dass das Tagesprogramm eben kein reines Kinderprogramm ist und auch nicht sein kann, dagegen spricht schon die freie Berichterstattung. Und die, dass der Jugendmedienschutz es sich hier nicht leicht macht. Denn ob eine Sendung mit einer Freigabe ab 12 Jahren vor oder erst nach 20 Uhr gezeigt werden darf, wird im Einzelfall entschieden und gegebenenfalls mit Schnittauflagen verbunden.
Momentan ist die Differenzierung zwischen 0 und 6 Jahren zwar nicht relevant für die Ausstrahlung im Fernsehen, doch die Entscheidungen der FSF müssen auch für andere Mediendiensteanbieter anwendbar sein.
Darum ging es also: Um das Wohl der jüngeren Kinder und um Abgrenzungskriterien bei der Altersfreigabe, die sich aus kindlichen Entwicklungsschritten ergeben.
Zum Auftakt der Tagung informierte Claudia Mikat, Geschäftsführerin der FSF, über die aktuelle Arbeit und skizzierte das Gestrüpp an Herausforderungen vor dem Hintergrund „grundstürzender Veränderungen“ in gesellschaftlicher, politischer und technischer Hinsicht. Jugendmedienschutz muss auf nationaler und europäischer Ebene funktionieren, um Maßstäbe zu setzen und Kindern etwas zu bringen.
Die FSF plant nun, KI-Systeme mit Bild- und Textkennung zu testen und mit der Spruchpraxis der Prüfausschüsse abzugleichen. Wichtig sei es, einheitliche Standards für den Einsatz von technischen Systemen zu etablieren und mit der Aufsicht abzustimmen. Auch das Jugendschutz-Klassifizierungstool YouKit soll weiterentwickelt werden und es Anbietern erleichtern, ihre Inhalte mit Freigaben und Zusatzhinweisen zu versehen und damit die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

Im Anschluss gaben Brigitte Zeitlmann, Leiterin der FSF-Programmprüfung, David Assmann und Katja Verchow, ebenfalls hauptamtlich mit Programmprüfungen befasst, mit einer Fülle anschaulicher Beispiele Einblick in die aktuelle FSF-Spruchpraxis.

Was vertragen Kinder an Action- und Gewaltdarstellungen, an Spannung, Düsternis und Magie? Und was hat das mit alterstypischen Entwicklungen zu tun? Bis zum Alter von vier Jahren gilt beispielsweise: Was sich bewegt, das lebt und kann Angst machen. Selbst wenn Kinder wissen, dass es sich nur um einen Film handelt, sind sie unsicher, ob ein magisches Wesen nicht doch existiert. Lauert es vielleicht schon im Keller?
Weniger entscheidend ist, ob eine Geschichte mit Realbildern oder als Zeichentrick erzählt wird, denn Anschlussfähigkeit ist für jüngere Kindern relevanter als fotografische Realitätsnähe. Deshalb können kleine verlassene Tierkinder selbst in gänzlich harmlos wirkenden Animationsfilmen für sie so enorm belastend sein. Formale Gestaltungsmittel wie düstere Bilder, schnelle Schnitte und bedrohliche Geräuschkulissen erreichen Kinder auch, wenn sie einer Geschichte inhaltlich noch nicht folgen können. In aufregenden Filmen brauchen sie deshalb Erholungsphasen und episodische Lösungen. Es entlastet sie, wenn soziale Gefüge, wie der Familienzusammenhalt oder die Freundesgruppe, sich am Episodenende als beständig erweisen.
Jede Belastung zu vermeiden, wäre aber wenig zielführend. Denn Ängste auszuhalten und zu überwinden, muss geübt und gelernt werden. Dabei können Medien helfen. Gleichzeitig haben Medieninhalte das Potenzial, Kinder zu desorientieren. Unter diesem Aspekt ging es um Darstellungen von Sexualität, problematische Sprache, um Drogen und Alkoholkonsum, Nachahmungsrisiken und problematische Identifikationsfiguren.
Kindesentwicklung und Fernsehen

Dr. Anna Felnhofer, Psychologin an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde mit dem spannenden Fachgebiet der therapeutischen Anwendung von virtuellen Realitäten (VR), war die erste externe Referentin mit ihrem Vortrag „Kindesentwicklung und Fernsehen“.
Wenngleich das Alter als Kriterium im Einzelfall nicht unbedingt taugt, gibt es doch Entwicklungsphasen und alterstypische Ängste, die Felnhofer mit Blick auf die Prüfpraxis der FSF vorstellte.
Ängste bei 3- bis 8-Jährigen
Entwicklungspsychologisch typische Ängste der 3- bis 8-Jährigen beziehen sich auf Tiere und Monster, Dunkelheit und Gewitter sowie vor allem auf alles, was seltsam aussieht und sich schnell bewegt. Zudem ist die Wahrnehmung von Kindern detailorientiert. Wenn sie einen Anknüpfungspunkt finden, wird dieser zentral, auch wenn er für die Geschichte nicht weiter wichtig ist. Mit zunehmendem Alter erfassen Kinder die ganze Geschichte und bewerten Figuren nicht mehr nach ihrem Aussehen, sondern nach ihrem Handeln. Die innerpsychische Dimension von Charakteren erschließt sich ihnen erst ab etwa 12 Jahren. Doch auch zuvor dient jede Wahrnehmung dem Lernen; Scripts und kognitive Schemata entwickeln sich.
Ängste bei 9- bis 12-Jährigen
Alterstypische Ängste bei den 9- bis 12-Jährigen betreffen Verletzungen, physische Zerstörung, Krieg und Katastrophen, Verlust und Tod. Hinzu kommen soziale Ängste, wie die Angst vor sozialer Ächtung. Das ist kein großer Unterschied zu Erwachsenen, doch Kindern fehlen noch Vermeidungs- und Bewältigungsstrategien, um Bedrohungen einzuordnen und sich Ängste vom Leib zu halten.
Lernen am Modell
Zum Thema „Lernen am Modell“ führte Felnhofer aus, dass eine Nachahmung aggressiven Verhaltens kontextabhängig sei, aber wahrscheinlicher werde, wenn Kindern eine attraktive Identifikationsfigur angeboten wird und die Aggression bagatellisiert, legitimiert oder belohnt wird.
Medien beeinflussen auch die Sprache, die Kinder als Kommunikationsmittel und als sozial-moralisches System lernen, erläuterte Felnhofer. Ab 10 Jahren beginnt der bewusste Einsatz obszöner Sprache zur sozialen Positionierung, und dabei werden Kinder auch durch Medien munitioniert. Wenn sie regelmäßig aggressive Sprache hören, kann es dazu führen, dass sie ein aggressives Sprachverhalten übernehmen.
Umgang mit Komik
Zum Thema Komik führte Felnhofer aus, dass Kinder bis zu einem Alter von etwa 10 Jahren besonders über Normverletzungen lachen können, was der Unterscheidung zwischen Norm und Normabweichung dient. Bei Älteren entsteht Zweifel an der Welt. Humor – nun auch in der Form von Satire, Sarkasmus oder Zynismus – dient dazu, diesen Zweifeln Raum zu geben, sich aufzulehnen und dem Tabuisierten einen Platz zu geben.
Sexuelle Darstellungen
Auf Darstellungen von Sexualität im Tagesprogramm ging sie ebenfalls näher ein. Vorschulkinder haben keinen Begriff von Sexualität im erwachsenen Sinn. Bei einer Konfrontation mit sexuellen Inhalten birgt das fehlende kognitive Schema die Gefahr, dass es zu falscher Verarbeitung kommt, beispielsweise, dass Sex mit Gewalt verbunden ist. 9- bis 12-Jährige wissen dann, das Sexualität ein Tabu- oder Erwachsenenthema ist und reagieren in der Spannbreite von Scham bis Faszination. Hier spielt die Sozialisation eine entscheidende Rolle.
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Veränderte Nutzungsgewohnheiten – veränderte Kompetenzen – veränderte Schutzbedarfe?

Zweite Impulsgeberin war Dr. Claudia Lampert, Senior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI).
Lampert stellte zunächst die Fakten vor, die in erster Linie in der repräsentativen miniKIM-Studie 2023 des mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) erhoben wurden: 2- bis 5-jährige Kinder kommen demnach immer jünger und länger mit audiovisuellen Medieninhalten in Berührung. Am häufigsten sehen sie Sendungen über Pay-Streamingdienste (59 %), gefolgt von kostenfreien Videoportalen wie z. B. YouTube (51 %) und Onlineangeboten der Fernsehsender (45 %). Damit seien diese Optionen inzwischen beliebter als die Nutzung des linearen Fernsehens mit 40 %.
Bei der Menge an Zugriffen bleibt es nicht aus, dass Kinder mit Bildern konfrontiert werden, die nicht für sie gedacht sind, die sie nicht erwarten und die sie erschrecken und verunsichern. Auch ältere Kinder werden immer wieder von neuen Formaten überrascht. Problematisch können hier Genremischungen sein, deren Realitätsgehalt schwer einzuordnen ist, oder unvorhersehbar drastische Einzelbilder. Dann wäre es gut, mit den Eltern zu sprechen, doch durch die Nutzung mobiler Endgeräte bekommen diese kaum mit, was ihre Kinder gucken.
Gleichzeitig orientieren sich Kinder weg von redaktionell betreuten Inhalten hin zu offenen Plattformen mit einem kaum kontrollierbaren Angebot und nutzen TikTok oder Instagram, obwohl sie das erforderliche Mindestalter von 13 Jahren noch nicht erreicht haben.
Lampert wies darauf hin, dass die selbständige Nutzung mobiler Endgeräte nicht mit aktiver Nutzung verwechselt werden sollte. Noch gebe es keine Anzeichen dafür, dass Kinder allein aufgrund der langen Nutzungszeiten souveräner mit potenziell riskanten audiovisuellen Inhalten umgehen könnten.

Nach so viel Input waren die Tagungsgäste eingeladen, ihre Expertise einzubringen und zu diskutieren. Dabei ging es auch um die Bewertung KI-generierter Spots und damit verbunden um die Frage, ob die Machart für die Beurteilung unter Jugendschutzaspekten von Relevanz sei. Theoretisch sei dem zwar nicht so, aber die Wucht der Realitätsbehauptung sei enorm eindrücklich.
Das belegte ein AfD-Werbespot, der zum Brandenburger Landtagswahlkampf 2024 in den sozialen Medien veröffentlicht worden war. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) hatte mit Verweis auf den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verlangt, den Zugriff auf den Spot zu beschränken, und vor Gericht in erster Instanz Recht bekommen. Das Gericht hatte „keine durchgreifenden Zweifel, dass der betroffene Wahlwerbespot geeignet sei, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu beeinträchtigen.“
Torsten Ruehle, hauptamtlicher FSF-Prüfer, und Barbara Förster von SevenOne und Vorstandsmitglied der FSF setzten den Schlusspunkt mit einer kurzen Zusammenfassung.
Die ausgezeichnet vorbereitete, kurzweilige Tagung hat alle ein bisschen klüger gemacht. Auch die besten Jugendschutzfreigaben können zwar den Eltern die Verantwortung nicht abnehmen, weil nur sie Experten für ihre Kinder sind und das Raster 0-6-12 grobmaschig ist, doch es wurde deutlich, dass Jugendmedienschutz wichtig ist, um negative Wirkungen auf Kinder in Grenzen zu halten und Conni nicht in den Brunnen fallen zu lassen.
Die Altersfreigaben sollten transparent und mit entwicklungspsychologischen Basiswissen unterfüttert sein. Dann können Medieninhalte auch positiv wirken und Kindern Spaß und Unterhaltung, starke Identifikationsfiguren, Reibungsflächen, Anregungen und Denkanstöße bieten.

Tagungsbericht: Susanne Bergmann
Fotos: Sebastian Riedel/FSF
