„Du musst sie brechen.“

Das Doku-Format „Teen Torture, Inc.“

Eva Lütticke
TEEN TORTURE, INC. (© Warner Bros. Discovery)
Teen Torture, Inc.
USA 2022Dokumentation
Anbieter
Discovery+
Zu sehen
ab 19.08.2024

Die dreiteilige Dokumentation Teen Torture, Inc. beleuchtet die „Troubled Teen Industry“ in den USA, die jährlich mit hunderttausenden verhaltensauffälligen Jugendlichen unter zweifelhaften Methoden ihr Geld verdient. In den oft religiös geprägten Umerziehungsheimen herrschen psychische und physische Gewalt. Es gilt: Disziplinierung um jeden Preis. Ehemalige Heimkinder, Jurist*innen, Whistleblower*innen und Angehörige berichten in der Dokureihe von den grausamen Missbrauchsfällen in dieser milliardenschweren Branche.

Seit Jahrzehnten boomt in den USA die „Erziehungsindustrie“. Eltern schicken ihre Kinder in privat organisierte und teilweise staatlich mitfinanzierte Heime. Sie treten alle Rechte über ihre Kinder an die Erziehungsheime ab und übergeben ihre Kinder an Institutionen, die kaum staatlichen Auflagen unterliegen.

Weder wird kontrolliert, wer dort arbeitet, noch welche Erziehungsmethoden angewandt werden. Viele dieser Einrichtungen sind religiös geprägt und wollen aus den Jugendlichen „wiedergeborene Christen“ machen. Weil religiöse Institutionen in den USA besondere Freiheiten genießen, sind die Heime in einigen Staaten von der Regulierung ausgenommen. Lizenziertes medizinisches Fachpersonal ist selten, und manche Zentren, denen Missbrauch vorgeworfen wurde, haben unter neuem Namen mit denselben Mitarbeiter*innen wieder eröffnet. Der aktuelle Aufschrei wurde durch den Tod von Naomi ausgelöst, die in ihrem Bett in der Lakeland Girls Academy tot aufgefunden wurde.
 

Zwischen Heim und Sektenkult

Jen Robison erlebte ein traumatisches Jahr in der Provo Canyon School. Bei ihrer Ankunft wurde ihr der Kopf kahl geschoren. Ihr Spitzname unter den Betreuer*innen: Auschwitz. Sie berichtet von Schlägen, Isolation und psychischem Missbrauch. Und sie ist nicht die Einzige: Mehrere Betroffene erzählen von Waterboarding, Schlafentzug und öffentlichen Demütigungen. Die bekannteste von ihnen ist Paris Hilton. Auch sie war von ihren Eltern in ein Erziehungsheim geschickt worden und erlebte Misshandlung durch die Betreuer*innen. Das Ziel dieser Methoden ist klar: Die Jugendlichen sollten gebrochen werden, um sie im Sinne des Glaubens oder der Werte des Heims neu zusammenzusetzen. Die strukturelle Misshandlung bringt Geld. Vor allem für die kleinen Gemeinden, in denen die Heime angesiedelt sind, handelt es sich um regelrechte Goldgruben. Die Unterbringung kostet nicht selten ab 30.000 Dollar aufwärts pro Jahr.
 

Trailer Teen Torture, Inc. (Max, 02.07.2024)


Die Atmosphäre der Dokumentation ist durchweg bedrückend. Zeitzeug*innen erzählen sichtlich traumatisiert von den Vorfällen, die teilweise in Reenactments und mit Originalbildmaterial aus den Zentren unterlegt sind. Kritik an den Methoden und Verurteilung der Taten sind deutlich erkennbar. Zudem bietet die Dokumentation einen empowernden Rahmen an, in dem Betroffene nach so langer Zeit endlich Gerechtigkeit einfordern können. Schließlich leistet die Dokumentationsreihe einen Beitrag zur gesellschaftlichen Ächtung von Gewalt in der Erziehung, die sowohl in Deutschland als auch in den USA eine lange Tradition hat und nach wie vor gesellschaftlich virulent ist. Die verheerenden Langzeitfolgen von Entwicklungstraumata, die durch Gewalt und Misshandlung hervorgerufen werden, schildern die Interviewten eindrucksvoll.

 

Freigegeben ab 12 Jahren | ab 20 Uhr
 

 

Die Dokumentation enthält einige sehr belastende Szenen, weil die Zustände in den Erziehungscamps als unentrinnbar erscheinen und psychische sowie sexualisierte Gewalt intensiv verbal beschrieben werden. In Reenactments wird Gewalt andeutungsweise in Szene gesetzt. Sowohl visuell als auch verbal erscheint die Drastik der Darstellungsweise mit Blick auf die Verarbeitungsfähigkeiten ab 12-Jähriger verkraftbar. Der kritische und durchaus empowernde Charakter der Dokumentation wirkt mit Blick auf die belastenden und herausfordernden Elemente distanzierend und relativierend.

Über die Autorin:

Eva Lütticke studierte Medienwissenschaften (M.A.) an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zurzeit arbeitet sie als Redakteurin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Bitte beachten Sie:

Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.

Weiterlesen:   Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:

Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:   Jugendschutz bei Streamingdiensten