Aufstieg und Fall eines Straßenfestes

Die Dokumentation „Freaknik – The Wildest Party Never Told“

Jana Papenbroock
FREAKNIK – THE WILDEST PARTY NEVER TOLD (Bild: © Disney und seine verbundenen Unternehmen)
Freaknik – The Wildest Party Never Told
USA 2024Dokumentation
Anbieter
Disney+
Zu sehen
ab 21.03.2024

Freaknik – The Wildest Party Never Told rekonstruiert die Kulturgeschichte des Freaknik-Straßenfests in Atlanta, das im Jahr 1983 gegründet und wegen Ausschreitungen und sexueller Übergriffe 1999 geschlossen wurde.

Ursprünglich stammt das Kofferwort „Freaknik” von den Worten „Freak“ und „Picknick“ her. Freak ist dabei eine direkte Referenz an den 1970er-Discohit Le Freak der Band Chic und meint nicht den Verrückten, sondern das Verb „to freak out“ (ausflippen). Das Festival wurde von einer Handvoll Schwarzer Studentinnen und Studenten organisiert, die sich eine Schwarze Variante des Spring Break wünschten, in der ihre Musik, Mode, Frisuren, Tanzstile und Kulinarik gefeiert würden.

Das Atlanta University Center Consortium (AUCC) ist ein Zusammenschluss von vier historisch Schwarzen Colleges: Clark Atlanta University, Morehouse College, Morehouse School of Medicine und Spelman College. Das AUCC stellt in den USA eine große Besonderheit dar. Es ermöglicht jungen Schwarzen Menschen, fernab des alltäglichen Rassismus zu studieren, gesellschaftlich aufzusteigen, Gemeinschaft zu bilden und Schwarze Kultur wie den überwiegend aus Atlanta stammenden Southern Hip-Hop zu entwickeln.

Während das kleine Straßenfest zunächst mit wenigen hundert Teilnehmern begann, umfasste es Anfang der 1990er-Jahre bereits kommerzielle Tanzwettbewerbe, Konzerte, Partys, einen Basketballwettbewerb, Rap-Sessions, ein Filmfest und eine Jobmesse. Als das zunehmend berüchtigte jährliche Straßenfest Mitte der 1990er-Jahre über 250.000 Besucher anzog, summierten sich unterschiedliche Missstände wie Übergriffe, Vergewaltigungen, Substanzmissbrauch, Autounfälle und Plündereien, die eine massive Polizeipräsenz zur Folge hatten und schließlich zum Ende des Festes führten.

Trailer Freaknik – The Wildest Party Never Told (Hulu, 29.02.2024)


Viele heute weltbekannte und damals am Anfang stehende Musiker wie OutKast, Kriss Kross, Ludacris, Killer Mike oder die Rapperinnen von TLC hatten ihre ersten Auftritte auf dem Freaknik, das auf Schwarze Künstlerinnen und Künstler eine emanzipatorische und ermächtigende Wirkung hatte. Sie fanden dort ein enthusiastisches und finanziell liquides Publikum, bei dem sie mit Kassetten-Samples ihrer neuen Alben werben und ihre Fangemeinden aufbauen konnten.

Der Regisseur P. Frank Williams, der selbst an den legendären Festen der ersten Jahre teilnahm, lässt in seiner Doku die Gründungsmitglieder und zahlreiche Rapper der damaligen Zeit wie André 3000 und Big Boi zu Wort kommen, die sich anhand von Originalaufnahmen auf Hi8- und Video8-Tapes an die damalige Zeit zurückerinnern, als die ersten Schwarzen Regisseure wie Spike Lee mit ihren Filmen ein größeres Publikum erreichten und die ersten Schwarzen Rapper auf MTV Welthits produzierten. Auf den Festen sammelten sich neben all jenen neuen Künstlern auch jene, die vor allem sexuell enthemmt feiern wollten. Die Rapperin Rasheeda erzählt von der sowohl befreienden als auch sexistischen Erfahrung junger Schwarzer Frauen während der Freaknik-Exzesse der 1990er, die von sexueller Selbstermächtigung bis hin zu sexualisierten Gewalterfahrungen reichten – was dazu führte, dass das Fest zunehmend ambivalent bis negativ wahrgenommen wurde.

Der Film versucht, das Freaknik in seiner Bedeutung für die Schwarze Kultur und heutige Künstlerinnen und Künstler wie Beyoncé oder Childish Gambino mit Festivals für die weiße Gegenkultur wie Woodstock gleichzusetzen und ihm einen Platz im kulturellen Gedächtnis einzuräumen. Das Freaknik trug mit dazu bei, die Stadt Atlanta, die seit den 1970-Jahren als „Schwarzes Mekka“ galt, als ein Zentrum Schwarzer Unternehmerschaft, höherer Bildung, politischer Macht und reicher Kultur zu festigen.

 

Freigegeben ab 16 Jahren | ab 22 Uhr

 

 

Die zuweilen auf wackelnde weibliche Hintern fokussierten originalen Videoaufnahmen geben eben jene historische Ambiguität aus ausschweifender Feierlust und selbstbewusst-freizügiger Körperlichkeit sowie teils misogynem Male Gaze wieder. Die sexualisierten Aufnahmen zeigen stolze, souverän wirkende Frauen, die, wie die heutige Rapperin und ehemalige Sex-Arbeiterin Cardi B, ursprünglich sexistische Repräsentationsweisen von Frauen appropriiert und in ihrer Bedeutung verändert haben. So wie der Gebrauch des N-Wortes, das mehrfach in der Doku fällt, als Selbstbezeichnung im Schwarzen Hip-Hop eine andere Bedeutung trägt und weit verbreitet ist.

16-Jährigen wurde zugetraut, zwischen der legitimen Selbstbezeichnung und Selbstrepräsentation und der illegitimen sexistisch-voyeuristischen Fremdrepräsentation und rassistischen Fremdbezeichnung selbstständig unterscheiden zu können. Auch können ältere Jugendliche die zuweilen gebrauchte Vulgärsprache und Thematisierung von Promiskuität, Übergriffen und Vergewaltigungen angemessen einordnen und mit Distanz verarbeiten.

12-Jährigen wurde hingegen noch nicht durchweg zugetraut, die ausgeführten Changierungen zwischen selbstgewählter Freizügigkeit und misogynem Blick sowie das Kippen in sexualisierte Gewalt sicher einordnen zu können, auch wenn weite Teile der Dokumentation auch für diese Altersgruppe als unproblematisch eingeschätzt wurden.

Über die Autorin:

Jana Papenbroock studierte Film an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Neben ihrer freien Prüftätigkeit für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) arbeitet sie als Dokumentarfilmemacherin.

Bitte beachten Sie:

Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Medieninhalt nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung hat.

Weiterlesen:   Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:

Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:   Jugendschutz bei Streamingdiensten